Und was ist mit all der Wut…?
In diesem Artikel möchte ich mich mit dem Tabuthema "Aggressionen gegenüber dem eigenen Kind" beschäftigen. Und der Frage, wie diese vor einem bindungstraumatischen Hintergrund einzuordnen sind.
Erlebte Wut & Aggression dem eigenen Kind gegenüber vor dem Hintergrund eigener Bindungstrauma
Ein häufig wiederkehrendes Thema in meinem „Berufsalltag“ ist das Thema Wut und Aggression. So geschieht es, dass mir Mütter erzählen, dass sie solche starke Wut In der Regel wird dieser Impuls nicht in Handlung umgesetzt.
Stattdessen versuchen Eltern ihre Wut umzulenken.
Solche Impulse kennen wahrscheinlich viele Eltern. Und die allermeisten können sie, wie meine Klientinnen, umlenken.
Und dennoch ist die Wut - und oftmals auch die Aggression* - wie ein Dämon, der zwischen der/m Erwachsenen und dem Kind steht.
Was viele Eltern auch kennen: das Kind manchmal „gröber“ als es sein sollte, anfassen; den Gedanken, das Kind habe sein/ihr Weinen „jetzt verdient“ (meistens nach einem Machtkampf) oder eine schroffere Reaktion vonseiten des Erwachsenen als es der Situation eigentlich angemessen ist.
Die meisten Eltern fühlen sich nach einem solchen Verhalten schuldig, schämen sich, fühlen sich ohnmächtig oder allein.
Der traumasensible Blick...
Was hat es damit im traumaspezifischen Kontext auf sich?
Woher kommt so starke Wut gegen ein kleines, fast wehrloses Wesen?
Eine Therapie, die sich mit solchen Themen beschäftigt, ist eine Spurensuche. Eine, die häufig schwierig, steinig, schambehaftet und nebulös ist. Denn sich mit diesen schweren Gefühlen auseinander zu setzen, bedeutet dem in die Augen zu schauen, was man selbst erlitten hat.
Solche starken, unkontrollierten Ausbrüche fallen nicht vom Himmel. Und auch wenn sich die betreffende Mutter/der betreffende Vater im Nachhinein so fühlt, als hätte sie/er alles falsch gemacht und wäre ein schlechter Mensch - niemand ist so furchtbar, wie sie/er - ist dem NICHT so!
Vielmehr ist dieses Verhalten Ausdruck eines Nervensystems, welches nicht gelernt hat sich durch sichere, haltgebende Beziehungserfahrungen regulieren zu können. Stattdessen hat dieser Mensch vermutlich zu einem äußerst frühen Zeitpunkt seines Lebens gelernt, dass sie/er stetig wachsam sein, sich kleinmachen und schnellstmöglich reagieren muss. Dies geschieht in einer Umgebung, in der die kindlichen und natürlichen Bindungs- und Autonomiebedürfnisse nicht angemessen gestillt werden.
Ein Kind, das in einem solchen Umfeld aufwächst, hat vielleicht erlebt, dass auf Gefühle wie Trauer oder Wut mit Ignoranz, Abwertung, Beschämung oder Aggression durch die Bezugspersonen reagiert wird. Statt mit Halt, Anerkennung (des Gefühles und des Kindes) und Einordnung.
Leben im erhöhten Wachsamkeitsmodus
Ein Kind, das so aufwächst, wird später zu einer/m Erwachsenen, die/der ständig in einem erhöhten Wachsamkeitszustand ist. Dieser Mensch und dessen Nervensystem hat gelernt, dass andere Menschen eine Gefahr darstellen, dass man anderen Menschen nicht vertrauen kann.
Ist diese/r Erwachsene nun Mutter oder Vater, wird es - durch das eigene Kind - mit dem selbst erlebten Bindungstrauma konfrontiert.
Allgemein befinden sich Eltern, die selbst Bindungstraumata erlebt haben in einem eingeschränkten Reaktionsmodus: ihnen stehen nicht die Ressourcen zur Verfügung, die Menschen ohne Bindungstrauma haben. Das heißt konkret, sie sind VIEL stressanfälliger, geraten schneller und leichter in Stressreaktionen, fühlen sich häufig chronisch angespannt/überreizt/genervt/überfordert (solltest Du selbst Betroffene/r sein, bitte jetzt durchatmen: diese Ressourcen sind erlernbar!).
Ursächlich für ihr inneres Erleben ist ein Nervensystem, welches - siehe oben - nicht gelernt hat, sich „gut“ regulieren zu können.
Stößt ein Mensch mit einem solchen dysregulierten Nervensystem nun auf Stresssituationen mit dem eigenen Kind, sieht es sich einer doppelten Herausforderung gegenüber gestellt: da es sich im Falle des eigenen Kindes um einen „unterlegenen Gegner“ handelt, reagiert das Gehirn der/s betroffenen Mutter/Vaters mit einem „Kampfmodus". Das eigene Kind wird zu einem Gegner. Das aktivierte Eltern-Gehirn ist in einem so hohen Erregungsmodus, in dem ein Gegenüber „entmenschlicht“ wird. Es schaltet auf „Kampf“ und kann sich nicht mehr in das eigene Kind einfühlen. Es greift zu archaischen Reaktionen, da es sich völlig bedroht fühlt - ohne dies bewusst steuern oder stoppen zu können.
Die zudem erschwerende Komponente stellt die erlebte Verhaltensprägung dar. Die erwachsene Person hat als Kind erlebt, wie die Eltern auf eigene Gefühlsäußerungen reagiert haben - eben mit Ignoranz, Abwertung etc. Dies ist das verinnerlichte Eltern-Modell und dient als Blaupause für das eigene Eltern-Verhalten. Und das passiert, trotz das dieser betroffene Erwachsene es „besser weiß“ - also motiviert und gewillt ist, anders als die eigenen Eltern mit ihrem/seinem Kind und dessen Gefühlen umzugehen.
Therapeutische Arbeit: Entwicklung von Regulationsfähigkeiten und Selbst-Mitgefühl
Doch aus meiner Arbeit weiß ich, dass dieses Wissen und der daraus entstandene Wunsch allein nicht ausreicht, um das erlernte Verhalten und das Nervensystem umzulenken. Leider!
Eine tief verinnerlichte Prägung braucht ein Neu- und Umlernen. Es braucht Bewusstsein, Selbstbeobachtung und gute Techniken, um das Nervensystem immer wieder in einen regulierten Modus bringen zu können. Erst wenn es möglich ist, das Nervensystem adäquat und sicher beruhigen zu können, ist es möglich „automatisierte" (destruktive) Handlungsimpulse umzulenken.
Dabei ist die therapeutische Begleitung häufig enorm wichtig, denn den betroffenen Eltern fällt es in der Regel sehr schwer, Mitgefühl für sich selbst aufzubauen. Selbst-Mitgefühl ist meiner Meinung nach ein zentraler Bestandteil des Lern- und Entwicklungsprozesses. Denn ohne Mitgefühl für sich selbst und die eigene Geschichte ist es fast unmöglich der inneren Aggression - den eigenen destruktive Impulsen - etwas entgegen zu setzen. Hier richtet sich meine Arbeit darauf, diese Impulse und Verhaltensweisen als erlernte Schutzstrategien anzuerkennen. Strategien, die es im Heilungsverlauf nicht länger bedarf, da nach und nach neue Verhaltensweisen entwickelt werden können.
Mitgefühl zu entwickeln für das Kind, das man selbst einmal war, ist ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung mit dem veränderten Umgang von Wut, Aggression und anderen destruktiven Verhaltensweisen. Mitgefühl für die entgangene Bindung, den vermissten Halt. Und ja, auch Mitgefühl für die daraus entstandenen Notstrategien, unter denen nun das eigene Kind leidet.
Von dort aus kann Schutz, Halt und Verantwortung für das innere Kind der/s Erwachsenen sowie für das geborene, eigene Kind entstehen.
Bist Du vielleicht auch betroffen und hast deshalb diesen Artikel gelesen? Schreibe mich gern an und teile Deine Gedanken mit mir: post@fraugeburt.de.
* an dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich im Artikel um eine Art von Wut und Aggression dreht, die der aktuellen Situation mit dem eigenen Kind "unangemessen" ist, d.h. zu einem früheren Zeitpunkt im Leben entstanden ist und vom Kind im Hier & Jetzt getriggert (d.h. wachgerufen) wird. Diese Intensitität von Wut/Aggression ist häufig sehr stark, die betroffene Person fühlt sich ihr aufgeliefert und oftmals äußert sich diese Wut destruktiv. Wut & Aggression als ungetriggerte Gefühle mit angemessener Lernerfahrung sind gesunde Gefühle und übernehmen dagegen eine wichtige Funktion von Abgrenzung und Selbstbehauptung.
Ich erinnere Dich daran, mit Dir in Verbindung zu sein.